Biodiversität ist mehr als nur der Erhalt der Arten

Literaturquelle siehe rechts: "Natur für jeden Garten", Reinhard Witt (Selbstverlag)

(Editorial HuG September 2020)

Liebe Gartenfreundinnen und Gartenfreunde,
Corona, Klimawandel und Artenschwund halten uns über die Medien nun schon länger in Bewegung, was nun nicht ganz unkommentiert bleiben sollte. In diesem Jahr werden sehr viele unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger Ihren Urlaub in Deutschland verbringen bzw. verbracht haben. Nicht wenige bleiben oder blieben sogar zu Hause und suchen bzw. suchten einen Garten. Sie würden am liebsten pachten oder kaufen, was sie gerade bekommen könnten.

Eine hohe Nachfrage klingt zuerst mal nicht schlecht und es klingelt in den Ohren: „Erweiterung von Gartenanlagen“, „neue Kleingartenprojekte“?! Aber Stopp! - Die Frage darf erlaubt sein: sind die Leute überhaupt alle für eine Kleingartenanlage geeignet?  Bei den Interessenten handelt es sich doch wahrscheinlich in erster Linie um jene Kategorie, die erstmal etwas Ruhe, Entspannung im Grünen suchen, Abstand von zu Hause brauchen, aber dann auch gerne Grillen, Spielen, „Party“ machen – eben Urlaub im Garten! Aber wer ist bereit von ihnen einen Garten zu bewirtschaften? Wer fühlt sich verpflichtet mindestens ein Drittel seiner Gartenfläche mit Obst und Gemüse anzubauen? Wer wird sich in den Gemeinschaftsgeist eines Vereins einbringen, sich nicht vor der Gemeinschaftsarbeit drücken? Wer von diesen Garteninteressierten hat überhaupt die Rolle von Gärten und Kleingärten als ökologische Basis zur Produktion von Nahrungsmitteln für den Eigenbedarf und zur Minderung des Einflusses von Klimawandel und Artensterben in seinem Fokus.

Mittlerweile gibt es sogar Pächterinnen und Pächter, die einfach so auf ihrer Parzelle einen Schottergarten anlegen (möchten). - Eine solche Umweltsünde kann durch einen Verbotshinweis in der Gartenordnung geregelt werden. Ein Rückbau bereits umgewandelter Flächen ist unumgänglich. Die Mustergartenordnung des LV enthält einen entsprechenden Passus. Noch frisch ist nun auch das allgemein gesetzliche Verbot zur Anlage von Schottergärten in Baden-Württemberg.

Echte Gartenfreunde verfolgen ihr Hobby mit Freude am Gärtnern und Freude an der sie begleitenden Natur, die Sie mit etwas Fachwissen einfacher zu pflegen verstehen, als einen englischen Rasen, der nicht gelingen will. Alternativen für Rasenflächen gibt es genug. Eine viele Jahre nachhaltig wachsende und einfach zu pflegende Stauden-Artenmischung wäre „Silbersommer“, welche bereits 2006 den Innovationspreis Gartenbau erhielt. Was die wenigsten wissen: Auf der Homepage vom Bund Deutscher Staudengärtner werden bereits zahlreiche Mischpflanzungen vorgestellt. Zugleich gibt es weitere Spezialgärtnereien, Fachleute und Institutionen, die sich seit Jahren mit der Thematik Naturgärten, naturnahes Gärtnern durch Verwendung heimischer Staudenpflanzungen, Gehölze, sowie Zwei- und Einjähriger beschäftigen. - U.a. der Hermannshof in Weinsberg; der Naturgarten e.V. Deutschland; Rieger-Hofmann; jelitto-Samen; Staudengärtnerei Syringa; Staudengärtnerei Gaismeyer; Hof-Berggarten; UFA Samen usw. In der Mitgliederzeitschrift „Haus und Garten“ werden wir die Thematik weiter vertiefen. Sie versetzt uns nämlich in die Lage wirklich pflegeleichte Alternativen an Stelle ideenloser pflegeintensiver lebloser Schurrasenflächen zu verwenden.

Gott sei Dank gibt es Menschen, Institutionen und auch Städte/Gemeinden, die etwas für den Garten und die Natur tun. Sven Plöger, der allseits bekannte ARD-Wetterexperte erhielt für sein Wirken den NatureLife-Umweltpreis 2020. Die Deutsche Gartenbau-Gesellschaft 1822 e.V. informiert im Rahmen des Bundesprogramms „leben.natur.vielfalt“ über eine neue Homepage namens „Tausende Gärten-Tausende Arten“: www.tausende-gaerten.de mit interessanten Gartenprojekten zur Förderung der Biodiversität. Die Stadt Stuttgart fördert Grünprojekte beispielsweise Hof-, Dach- und Fassadenbegrünungen mit Förderobergrenzen bis 10.000 Euro: zuständig ist das Amt für Stadtplanung und Stadterneuerung. Wäre schön, wenn andere Gemeinden dieses Programm ebenfalls aufnehmen. Besonders deutlich bringt es die Akademie für Natur- und Umweltschutz Baden-Württemberg (Umweltakademie) auf den Punkt: „Artenwissen ist der Schlüssel zum Erhalt der biologischen Vielfalt. Doch die Wissens-Erosion in der Bevölkerung und in Fachkreisen schreitet voran“. Durch Verschiebung von Studienschwerpunkte im Bereich der Biologie gibt es weniger Botaniker, weniger Spezialisten in der Pflanzenverwendung, weniger Experten über Kenntnisse im Zusammenspiel von Flora und Fauna.

In Sachen „Artenwissen“ ist unsere Redaktion aber doch schon einige Zeit in Aktion in dem wir beispielsweise unter Mithilfe von „Deutschland summt“ verschiedene Wildbienenarten mit ihren Bedürfnissen vorstellen. Natürlich in der Hoffnung, dass Sie aus den Beschreibungen etwas übernehmen und vielleicht das eine oder andere Exemplar spezieller Wildbienen in ihrem Garten begrüßen können. Sie werden merken, das ist besser als jedes Fernsehprogramm. Da wir also durch unser Angebot an Futterpflanzen in unseren Gärten auch tierische „Besucherströme“ zu lenken vermögen, können wir neben den ubiquitären Arten (anpassungsfähig, kommen mit vielem zu Recht) ebendem Spezialisten heranlocken und mit Ihnen weitere, von ihnen abhängige Fauna-Vertreter. Wer z.B. einen Gartenteich hat oder in einer Region mit natürlichen Gewässern lebt, kann mit der Auen-Schenkelbiene als einer solche Spezialistin rechnen: sie ist auf Ölblumen der Gattung Gilbweiderich angewiesen. Die oligolektische Art (überschaubare Zahl an besuchten Pflanzen) sammelt dabei Öl und Pollen am Gewöhnlichen Gilbweiderich (Lysimachia vulgaris) und gelegentlich auch am Punkt-Gilbweiderich (Lysimachia punctata). Ölpflanzen bieten jedoch keinen Nektar, daher ist die Schenkelbiene auf zusätzliche Nektarquellen in unmittelbarer Umgebung ihrer Erdnester angewiesen. Hier sammelt sie gern an typischen Pflanzen der Ufer- und Hochstaudenfluren wie den weit verbreiteten Blutweiderich (Lythrum salicaria), Sumpf-Storchschnabel (Geranium palustre) oder Sumpf-Kratzdistel (Cirsium palustre). Wo Schenkelbienen sind, tritt auch die sie parasitierende Schmuckbiene (Epeoloides coecutiens) als Kuckucksbiene auf.Andere Gemeinschaften zwischen Pflanzen und Wildbienen finden sich bei Hummeln und Schneemarbel, Reseden-Maskenbiene und Resede, Gartenwollbiene und Heilziest, Glockenblumen-Scheerenbiene und Rundblättriger Glockenblume, Zaunrüben-Sandbiene und Zaunrübe.

In ihrem Buch „Tiere pflanzen“, Pala Verlag, beschreibt Ulrike Aufderheide zahlreiche faszinierende Partnerschaften zwischen Pflanzen und Tieren. Bei den Vögeln werden Stieglitze von den Samenständen hoher Stauden magisch angezogen, vor allem wenn sich darunter Kardengewächse, Disteln und Korbblütler wie Flockenblumen befinden. Wichtig dabei ist, deren attraktive Samenstände über Winter stehen zu lassen. Weitere partnerschaftliche Beziehungen lassen sich mitunter zwischen Rotkehlchen und Pfaffenhütchen, Dompfaff und Eberesche, Weidenmeise und Hohlzahn sowie Mönchsgrasmücke und Holunder beobachten. Bei den Schmetterlingen sind neben den pflanzlichen Insektenmagneten auch Raupenfutterpflanzen von großer Bedeutung. Für die Raupen von rund 50 Schmetterlingsarten dienen verschiedene Brennnessel-Arten als Futterpflanze. Admiral, Tagpfauenauge, Kleiner Fuchs (auch als Nesselfalter bekannt), Silbergraue Nessel-Höckereule, Dunkelgraue Nessel-Höckereule, Brennnessel-Zünslereule und das Landkärtchen sind dafür sogar auf die Brennnessel angewiesen. Dabei scheint es den Arten je nach ihrer Präferenz wichtig zu sein ob der Standort sonnig, halbschattig oder schattig ist. Der kleine, nur bis 4 m hohe Faulbaum (Rhamnus frangula) wird sowohl vom Zitronenfalter als auch vom Faulbaum-Bläuling geliebt. Letzterer hält sich als Falter dann auch sehr gerne an Blutweiderich. Andere interessante Beziehungen gibt es zwischen Rosenkäfer und (Essig-) Rosen sowie von Hain-Schwebfliegen und Wilder Möhre. Vertiefen können Sie den blattlausreduzierenden Einfluss von Schwebfliegen in ihrem Garten, deren Larven hier großartige Arbeit verrichten, in dem Sie die Gemeine Wegwarte (Cychorium intybus) oder ihr verwandtes Gemüse Zuckerhut, Radicchio oder Chiccoree schießen und blühen lassen.

Wollen Sie schließlich etwas Gutes für Fledermäuse tun, dann kultivieren Sie Pflanzen, die abends und in den Nächten blühen. Dazu zählen u.a. heimische Geißblattgewächse wie Jelängerjelieber sowie auch die Nachtkerzen. Diese werden gerne von Nachtfaltern besucht, die wiederum auf dem Speiseplan von Fledermäusen stehen. Wenn die Nahrungskette stimmt, haben wir nicht nur schädliche Mitesser in unseren Gärten sondern auch ihre nützlichen Gegenspieler. Es sind die Räuber-Beute Beziehungen die zählen und sich zugleich selbst regulieren: Wo wegen chemischen Pflanzenschutz keine Blattläuse, da auch keine Marienkäfer, Schwebfliegenlarven und Florfliegenlarven. Letztere werden sogar als Blattlauslöwen bezeichnet. Spinnen, Hornissen, Wespen, Erzwespen, Goldwespen, … oder in ihrer Funktion: Räuber, Parasitoide, Superparasitoide (auch Kuckucksformen bei Insekten), Hyperparasitoide sind wichtige Gesellschafter unserer Gärten. Mit pflanzlicher Artenvielfalt entwickelt sich die tierische Artenvielfalt, und mit etwas Geduld von Gartenfreunden vor Ort die Selbstregulierung der Schädlings-Nützlingspopulationen. Wenn z.B. im Frühsommer riesige Mengen Blattläuse an den zarten frischen Austrieben ihrer Lieblingspflanzen saugen, ist es kein Problem diese mit der handschuhbewehrten Hand abzustreifen. Es bleiben genug übrig für die bald folgenden Nützlinge. Jedoch können Sie mit einer chemischen Behandlung die ersten Ansätze der sich aufbauenden Nützlingspopulationen zu Nichte machen. Die Fähigkeit der Selbstregulierung ergibt sich also aus einer hohen Biodiversität. Die Biodiversität setzt sich wiederum zusammen aus der Artenvielfalt, aber auch aus der Vielfalt der mit den Pflanzarten verwandten Sorten und Spielarten, die auf natürlichem Weg entstanden, ebenfalls vollumfänglich naturtauglich (generativ vermehrungsfähig) sind. Gleichfalls zur Biodiversität gehören die unterschiedlichsten Strukturen, geschaffen aus der Natur wie Sand, Erden, Steine, Pflanzen und Pflanzenteile sowie künstliche Materialien, die dazu befähigt sind allen Tieren Schutz und Nistmöglichkeiten zu bieten. Alles zum Wohle der Reproduktion, dem Erhalt des Lebens.

Fachberater Jörg Gensicke